Wolken. Das ist schwarzweiß natürlich sehr schwer zu
illustrieren, wenn man nicht Albrecht Dürer ist. Aber dafür ist es eigentich
ganz gut geworten. Verblüffenderweise ist man mit dem Wolken in der
Wissenschaft sehr lange nicht klar gekommen. Weder wußte man, wie sie
entstehen, geschweige denn, wie sie funktionieren. Tatsächlich war es die
Leistung einer einzelnen Person – nicht einmal ein Wissenschaftler, der den
Dunst um die Wolken lichtete: Luke Howard, der in einem Vortrag im Dezember
1802, an einem kalten und nebligen Abend, nicht nur die bis heutige gültige
Typisierung erfand, sondern auch ihre Namen sowie die ersten korrekten Annahmen
über Entstehung und Übergang. Ein Sigmund-Freud-Moment, sozusagen. Er erklärte
seinen verblüfften Zuhörern, eigentlich sei alles ganz einfach. Es gäbe drei
Grundttypen von Wolken:
Zirrus, das wären Federwolken. Cumulus, die Haufenwolken.
Und Zirrus, die Schichtwolken. Und das war es dann. Federn, Haufen, Schichten.
Das Faszinierende daran war, daß den Zuhörern diese erste
Einteilung völlig logisch, einfach und zwingend erschien, aber vorher keiner
darauf gekommen war. Die Wolken waren über Jahrtausende im Windschatten (das
Wort paßt hier ja ganz schön) der Wissenschaften gesegelt. Zumal man lange auch
nicht so recht wußte, wie hoch sie eigentlich herumfliegen, das änderte sich
erst durch das Ballonfliegen (ein neuer heißer Scheiß in dieser Zeit). Es gab damals
erstmals Illustrationen, wie Wolken von oben aussehen, eine Perspektive, die
sonst dem lieben Gott vorbehalten war, oder den Irren, die auf Alpen stiegen.
Luke Howard war eigentlich Apotheker und Autodidakt. Was
ihm hier erstmals gelang, war eine plausible Sprache und Wörter für das Wetter
und Wolken zu finden. Zudem wählte er lateinische Bezeichnungen, was die
internationale Kompatibilität erleichterte. Nicht viel anders hatte es einige
Jahrzehnte vorher Carl von Linne gemacht, als er die biologische Taxonomie
erfand. Wenn du die Wörter hast, dann beherrscht du die Welt. Schauen wir mal
auf die Einteilung, die der Brockhaus gewählt hat (und die der Sortierung von
Howard sehr ähnlich ist:)
Zirrus:
faserig, federähnlich, Bänder. Interessant: sie bestehen aus reinem Eis, weil
sie so hoch fliegen. Damit hatte ich als kleiner Junge doch recht, daß Wolken
aus Zitroneneis bestünden. Nicht Vanille, das ist ja leicht gelb.
Kondensstreifen von Flugzeugen zählt man übrigens auch zu Zirruwolken.
Zirrostratus:
schleierartig, dunstig, undifferenziert. Die Schleierwolken sind sozusagen
plattgebügelte Zirruswolken. Zirrostratuswolken sind oft so unauffällig, daß
man sie nicht einmal bemerkt. Sozusagen die Geheimagenten unter den Wolken. Und
sie sind oft Vorboten von Regen.
Zirrokumulus:
das sind die kleinen niedlichen Schäfchenwölkchen. Auch sie bestehen aus Eis.
Wenn sie sich über den gesamten Himmel ziehen, dann gibt es in 8-10 Stunden
Regen. Wenn es nur so handgroße Flecken sind, dann bleibt das gute Wetter
bestehen.
Altokumulus:
das sind die großen Schäfchenwolken. Also eigentlich keine Schäfchen mehr,
sondern es wandern ausgewachsene Schafe über den Himmel.
Stratokumulus:
eine Haufenschichtwolke. Auf gut deutsch: ein verwolktes
Durcheinander, ohne dass man einzelnen Wolken ausmachen könnte
Nimbus:
nennt man heute Nimbostratus. Es sind Regenwolken, sie sind strukturlos und
dunkler als Zirrostratus. Halt Scheißwetterwolken.
Kumulus:
das sind die schönen großen Federwolken, die nach Hunden, Gesichtern, Hexen und
Walfischen aussehen.
Kumulonimbus:
das sind die Rock’n’Roll-Wolken. Gewitter, Hagel, Sturm. Wenn
an der Hinterseite ein amboß-artige Form erscheint, dann sollte man die Füße in
die Hand nehmen, dann gibt es ein schweres Unwetter. Flugzeuge umfliegen
Kumulonimbus respektvoll. Ein einziger Mensch hat den Fall durch eine
Kumulonimbus-Wolke überlebt: der Pilot William Rankin flog am 26. Juli 1959 mit
seinem F8-Jagdflugzeug über eine Kumulonimbus, als sein Triebwerk ausfiel. Gut,
es gibt ja Hilfsturbinen. Er zog den entsprechenden Hebel, der prompt abbrach.
Wenn es mal scheiße läuft, dann richtig. Und so mußte Rankin über der
Gewitterwolke den Schleudersitz auslösen. Es war -50° kalt und er bekam sofort
Erfrierungen. Durch die Dekompression blutete er aus Augen, Mund, Nase und
Ohren. Sein Unterleib schwoll an. Er fiel nicht nur, sondern wurde auf und ab
geschleudert. Hagelkörner verletzten ihn. Durch Luftdruckschwankungen wurde
viel zu früh der Fallschirm ausgelöst. Damit würde der Fall noch länger dauern. Durch
das heftige Trudeln mußte er erbrechen, aber das ging noch, immerhin. Dann
mußte er die Luft anhalten, weil der Regen in der Wolke so dicht war, daß er drohte
zu ertrinken. In 5000m Höhe ertrinken, darauf muß man erstmal kommen. Ein Blitz
illuminierte seinen Fallschirm so stark, daß er dachte, jetzt im Himmel
angekommen zu sein. Aber nein: endlich war er durch die Wolke durchgefallen,
aber ein starker Wind trieb ihn auf ein Dickicht und drückte ihn auf einen
Baum, so daß er kopfüber mit Fallschirm hängen blieb. Er konnte sich aber
tatsächlich aus dieser Lage befreien und überstand die 40-minütige (!) Tortur nahezu
unverletzt. Englischsprachige Artikel über diesen Fall nach 1971 heißen
natürlich alle „Rider on the Storm“. Krass, die Geschichte.
Wenn mich einer fragen würde, mit welchem Wolken ich die
stärkste Erinnerung verknüpfte: ganz einfach, grauer einfacher, platter
Stratokumulus. Im Ruhrgebiet hat es ja ohnehin häufig geregnet. Ein blauer
Himmel mit einer paar Zirrusfedern oder Kumulusschafen, das war für uns ein
Riesenfest. Die meisten sagen ja, es sei früher immer gutes Wetter gewesen, als
sie klein waren, aber das kann ich nicht bestätigen. Ich habe meine Kindheit
unter Zirrostratus verbracht. Manchmal auch Nimbostratus, aber dann hab ich die
Kapuze aufgesetzt.
Und übrigens: Luke Howard hatte 1803 schon zutreffende
Annahmen über die Entstehung von Niederschlägen getroffen. Denn es ist
tatsächlich so, daß jeder Regen als Schnee auf die Welt kommt. Erst beim Durchqueren
wärmerer Luftschichten wird er zu Regen – oder bleibt Schnee, wenn es kalt ist.
Aber ist das nicht ein schöner Gedanke? Jeder Regen war einmal Schnee.
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