Freitag, 29. September 2017

W20 - Wolken






Wolken. Das ist schwarzweiß natürlich sehr schwer zu illustrieren, wenn man nicht Albrecht Dürer ist. Aber dafür ist es eigentich ganz gut geworten. Verblüffenderweise ist man mit dem Wolken in der Wissenschaft sehr lange nicht klar gekommen. Weder wußte man, wie sie entstehen, geschweige denn, wie sie funktionieren. Tatsächlich war es die Leistung einer einzelnen Person – nicht einmal ein Wissenschaftler, der den Dunst um die Wolken lichtete: Luke Howard, der in einem Vortrag im Dezember 1802, an einem kalten und nebligen Abend, nicht nur die bis heutige gültige Typisierung erfand, sondern auch ihre Namen sowie die ersten korrekten Annahmen über Entstehung und Übergang. Ein Sigmund-Freud-Moment, sozusagen. Er erklärte seinen verblüfften Zuhörern, eigentlich sei alles ganz einfach. Es gäbe drei Grundttypen von Wolken:



Zirrus, das wären Federwolken. Cumulus, die Haufenwolken. Und Zirrus, die Schichtwolken. Und das war es dann. Federn, Haufen, Schichten.



Das Faszinierende daran war, daß den Zuhörern diese erste Einteilung völlig logisch, einfach und zwingend erschien, aber vorher keiner darauf gekommen war. Die Wolken waren über Jahrtausende im Windschatten (das Wort paßt hier ja ganz schön) der Wissenschaften gesegelt. Zumal man lange auch nicht so recht wußte, wie hoch sie eigentlich herumfliegen, das änderte sich erst durch das Ballonfliegen (ein neuer heißer Scheiß in dieser Zeit). Es gab damals erstmals Illustrationen, wie Wolken von oben aussehen, eine Perspektive, die sonst dem lieben Gott vorbehalten war, oder den Irren, die auf Alpen stiegen.



Luke Howard war eigentlich Apotheker und Autodidakt. Was ihm hier erstmals gelang, war eine plausible Sprache und Wörter für das Wetter und Wolken zu finden. Zudem wählte er lateinische Bezeichnungen, was die internationale Kompatibilität erleichterte. Nicht viel anders hatte es einige Jahrzehnte vorher Carl von Linne gemacht, als er die biologische Taxonomie erfand. Wenn du die Wörter hast, dann beherrscht du die Welt. Schauen wir mal auf die Einteilung, die der Brockhaus gewählt hat (und die der Sortierung von Howard sehr ähnlich ist:)



Zirrus: faserig, federähnlich, Bänder. Interessant: sie bestehen aus reinem Eis, weil sie so hoch fliegen. Damit hatte ich als kleiner Junge doch recht, daß Wolken aus Zitroneneis bestünden. Nicht Vanille, das ist ja leicht gelb. Kondensstreifen von Flugzeugen zählt man übrigens auch zu Zirruwolken.



Zirrostratus: schleierartig, dunstig, undifferenziert. Die Schleierwolken sind sozusagen plattgebügelte Zirruswolken. Zirrostratuswolken sind oft so unauffällig, daß man sie nicht einmal bemerkt. Sozusagen die Geheimagenten unter den Wolken. Und sie sind oft Vorboten von Regen.



Zirrokumulus: das sind die kleinen niedlichen Schäfchenwölkchen. Auch sie bestehen aus Eis. Wenn sie sich über den gesamten Himmel ziehen, dann gibt es in 8-10 Stunden Regen. Wenn es nur so handgroße Flecken sind, dann bleibt das gute Wetter bestehen.



Altokumulus: das sind die großen Schäfchenwolken. Also eigentlich keine Schäfchen mehr, sondern es wandern ausgewachsene Schafe über den Himmel.        



Stratokumulus: eine Haufenschichtwolke. Auf gut deutsch: ein verwolktes Durcheinander, ohne dass man einzelnen Wolken ausmachen könnte



Nimbus: nennt man heute Nimbostratus. Es sind Regenwolken, sie sind strukturlos und dunkler als Zirrostratus. Halt Scheißwetterwolken.



Kumulus: das sind die schönen großen Federwolken, die nach Hunden, Gesichtern, Hexen und Walfischen aussehen.



Kumulonimbus: das sind die Rock’n’Roll-Wolken. Gewitter, Hagel, Sturm. Wenn an der Hinterseite ein amboß-artige Form erscheint, dann sollte man die Füße in die Hand nehmen, dann gibt es ein schweres Unwetter. Flugzeuge umfliegen Kumulonimbus respektvoll. Ein einziger Mensch hat den Fall durch eine Kumulonimbus-Wolke überlebt: der Pilot William Rankin flog am 26. Juli 1959 mit seinem F8-Jagdflugzeug über eine Kumulonimbus, als sein Triebwerk ausfiel. Gut, es gibt ja Hilfsturbinen. Er zog den entsprechenden Hebel, der prompt abbrach. Wenn es mal scheiße läuft, dann richtig. Und so mußte Rankin über der Gewitterwolke den Schleudersitz auslösen. Es war -50° kalt und er bekam sofort Erfrierungen. Durch die Dekompression blutete er aus Augen, Mund, Nase und Ohren. Sein Unterleib schwoll an. Er fiel nicht nur, sondern wurde auf und ab geschleudert. Hagelkörner verletzten ihn. Durch Luftdruckschwankungen wurde viel zu früh der Fallschirm ausgelöst. Damit würde der Fall noch länger dauern. Durch das heftige Trudeln mußte er erbrechen, aber das ging noch, immerhin. Dann mußte er die Luft anhalten, weil der Regen in der Wolke so dicht war, daß er drohte zu ertrinken. In 5000m Höhe ertrinken, darauf muß man erstmal kommen. Ein Blitz illuminierte seinen Fallschirm so stark, daß er dachte, jetzt im Himmel angekommen zu sein. Aber nein: endlich war er durch die Wolke durchgefallen, aber ein starker Wind trieb ihn auf ein Dickicht und drückte ihn auf einen Baum, so daß er kopfüber mit Fallschirm hängen blieb. Er konnte sich aber tatsächlich aus dieser Lage befreien und überstand die 40-minütige (!) Tortur nahezu unverletzt. Englischsprachige Artikel über diesen Fall nach 1971 heißen natürlich alle „Rider on the Storm“. Krass, die Geschichte.



Wenn mich einer fragen würde, mit welchem Wolken ich die stärkste Erinnerung verknüpfte: ganz einfach, grauer einfacher, platter Stratokumulus. Im Ruhrgebiet hat es ja ohnehin häufig geregnet. Ein blauer Himmel mit einer paar Zirrusfedern oder Kumulusschafen, das war für uns ein Riesenfest. Die meisten sagen ja, es sei früher immer gutes Wetter gewesen, als sie klein waren, aber das kann ich nicht bestätigen. Ich habe meine Kindheit unter Zirrostratus verbracht. Manchmal auch Nimbostratus, aber dann hab ich die Kapuze aufgesetzt. 


Und übrigens: Luke Howard hatte 1803 schon zutreffende Annahmen über die Entstehung von Niederschlägen getroffen. Denn es ist tatsächlich so, daß jeder Regen als Schnee auf die Welt kommt. Erst beim Durchqueren wärmerer Luftschichten wird er zu Regen – oder bleibt Schnee, wenn es kalt ist. Aber ist das nicht ein schöner Gedanke? Jeder Regen war einmal Schnee.
 


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