Gruß. Der Hut und damit das Hutabnehmen zum Grüßen ist
praktisch vollständig verschwunden. Ich kann mich noch erinnern, wie mein Opa
das immer gemacht hat. Aber der wäre auch nie ohne Hut aus dem Haus gegangen. Ich
hätte aber auch Probleme zu definieren, wann der Mann den Hut zieht. Bei
Frauen? Bei Älteren? Bei älteren Frauen? Ich habe nachgelesen, daß der
Niedriggestelltere den Hut komplett zieht, während der Höhergestellte das
Ziehen nur andeutet beziehungsweise nur an die Krempe tippt. Das Hutziehen: eine
vergessene Grammatik der Wertschätzung. - Der militärische Gruß ist in der
Zentralen Dienstvorschrift 10/8 der Bundeswehr geregelt. Das Dokument ist
tatsächlich „klassifiziert“, also geheim. Wikipedia leakt aber ein bißchen,
z.B. das Grüßen im Vorübergehen: „Grüßt der Soldat im Gehen, behält er seinen
Schritt bei und grüßt, sobald er sich drei Schritte vor dem zu Grüßenden
befindet.“ Und: Auf dem Klo muß auch nicht gegrüßt werden, Herr
Generalfeldmarschall. - Meine Schwester, die einige Jahre älter ist als ich,
wurde noch zum Knicksen angehalten. Ob sie vor Tanten, Großtanten oder
Nachbarinnnen knicksen mußte, weiß ich allerdings nicht mehr. Ebenso wenig weiß
ich mehr, ob ich einen Diener machen gelernt habe. Wahrscheinlich hat es sich
zu meinen Zeiten ausgedienert und ausgeknickst, wohl zeitgleich mit dem
Verschwinden des Hutgrüßens. - Erschreckend allerdings, wie fehlerhaft und
unvollständig meine Kenntnisse des Handkusses sind. Es gibt bekanntlich den
vollendeten wie den unvollendeten Handkuß. Vollenden darf man nur bei
verheirateten Frauen. Allerdings nur in geschlossenen Räumen. Unter freiem
Himmel, genau so wie bei unverheirateten Frauen, darf man die Handoberfläche
nicht berühren. Das wird in heutigen Zeiten um so komplizierter, weil die
unverheirateten Frauen ja nicht mehr Fräulein heißen. Das habe ich alles nicht
gewußt. Im Zweifelsfall also besser nicht die Hand ablecken. – Von den sechs
Grußformen auf diesem Blatt sind somit vier praktisch verschwunden. Andere
fehlen: so zum Beispiel der High Five. Der ist natürlich viel zu neu, aber
Obacht: zunächst galten Dusty Baker und Glenn Burke als Erfinder, als sie in
einem Spiel der Los Angeles Dodgers am 2. Oktober 1977 hochfünften. Das wurde
von einem Basketballspieler namens Conor Lastowka wiederum bestritten, der
behauptete, den High Five schon in den späten Sechzigern erfunden zu haben. Ja,
und dann hat man sich mal „Außer Atem“ aus dem Jahr 1960 noch genauer angeguckt
und festgestellt: Jean-Paul Belmondo war es. Der hat den High Five erfunden. Verblüffend.
Gerade einmal acht Jahre nach dem Brockhaus. –Interessant auch das
Wangenküssen. Kaum eine Grußform ist kulturell komplexer codiert. Vor allem, ob
er auch zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern ausgetauscht werden kann und
wie viele Küßchen es sind. Selbst auf lokaler Ebene gibt es gewaltige
Unterschiede: Kroaten küssen zweimal, aber niemals gleichgeschlechtlich, Serben
küssen dreimal (rechts startend), aber gern küssen sich auch mal Kerle
untereinander.
(Nachtrag)
Heute war der Brockhaus von 1944 in der Post. Genauer
gesagt, ist es offenbar eine Ausgabe, dessen Grundlage 1935 gelegt wurde,
damals als reiner Sprachduden ohne Bilder. Die Abbildungen kamen erstmals in
der Ausgabe von 1940 hinein. Der Duden von 1952 ist zu einem Großteil der Duden
von 1940. Es gibt einige Veränderungen, manchmal im Detail, ein anderesmal
werden völlig andere Illustrationen benutzt. „Gruß“ ist natürlich ganz toll.
Winzige Änderungen beim Handgeben und Hutabnehmen. Beim Verbeugen ist 1994 ein
Vader Abraham verbeugungswürdig, wohingegen man 1952 meinte, einen
Gustav-Heinemann- Typ verbeugungswert zu finden. Ja, und es sind nicht sechs
Grüßarten, sondern sieben.
Wie ich sehe wurde 1944 die Verbeugung noch kontaktlos empfohlen, 1952 aber in Kombination mit dem Handgeben.
AntwortenLöschenDas ist interessant, das hatte ich ganz übersehen. Das Verbeugen ohne Handgeben ist demütiger, nicht? Der alte Herr hat ja auch einen Spazierstock in der Hand. Vielleicht war man mit Spazierstock damals verbeugungswert.
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