Zirkus. Der hier abgebildete Zeltzirkus ist eine recht
junge Erfindung, die erst Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Vorher war man
darauf angewiesen, geeignete Häuser zu mieten, was natürlich schwierig war.
Außerdem wurde die Transportlogistik besser. Und die Zelte (der alphabetische
Zufall bindet Zelt in der letzten Lieferung an den Zirkus) wurden nahezu
ausschließlich von einem einzigen Hersteller zusammengenäht, der Firma Stromeyer,
die es in Radolfzell am Bodensee immer noch gibt.
Als Blütezeit des Zirkus gilt das erste Drittel des
letzten Jahrhunderts. In den Fünfzigern setzte ein sehr langsames, aber
unaufhaltsames Sterben ein. Zirkusse sind Familienunternehmen. Insofern wundert
mich die Wikipedia-Zahl, daß heute noch 300 Zirkusunternehmen durch das Land
reisen. Erstaunlich. Und dann knüpfen sie ihre Reklame an jedem Zaun. Übrigens
weit gefehlt, das geschehe anarchistisch oder einfach so. Für Berlin gilt etwa:
„Beim Aufstellen von Zirkuswerbetafeln (max. DIN A0) auf dem öffentlichen
Straßenland handelt es sich um eine Straßenlandsondernutzung. Der Zirkus ist
verpflichtet, eine Sondernutzungserlaubnis zu beantragen.“
Übrigens hat praktisch kein Zirkus eine Webseite. Es ist
sozusagen analoge Unterhaltung. Man kann die Darbietungen strukturieren: a)
Artistik b) Dressur c) Clown. Als Kind habe ich die Serie Salto Mortale
geguckt, die ich übrigens ziemlich langweilig fand. Dort ging es eigentlich nur
um diese Trapezgeschichten. Der Chef der Trapeztruppe war Gustav Knuth. Dazu
fällt mir ein, daß Gustav Knuth ein hundertprozentiger Garant für langweilige
Filme, Serien, Sendungen war. Ein Salto Mortale war ein dreifacher Salto, und
den konnte nur Hans-Jürgen-Bäumler. Da fällt mir auf, der Bäumler hat ja
eigentlich nur die Drehrichtung geändert, beim Eiskunstlauf ist er um die
Längsachse gedreht, und beim Salto Mortale jetzt um die Querachse. In den
Fünfzigern gab es auch schon Dreifachsprünge bei den Herren bei Olympischen
Spielen, aber der Bäumler hat das nicht hinbekommen, denke ich. Der hat eher
die Marika Kilius durch die Gegend geworfen. Bei Salto Mortale konnte er aber
dann seine Dreifach-Fantasien zumindest in der Rolle ausleben. Salto Mortale
statt Salchow Mortale, sozusagen.
Eigentlich denkt man ja, der Flieger hat den schwierigen
Job, aber das stimmt gar nicht, entscheidend ist der Fänger, der kopfüber am
anderen Trapez hängt usw. usw. usw. Zumal ich auch erst viel später kapiert
habe, daß die Schwingungsdauer des Trapez nur von seiner Länge abhängt, also
gleich lange Trapeze in exakt in der gleichen Frequenz schwingen.
Noch langweiliger als die Artisten waren die
Dressurnummern. Mich beeindruckte es kein bißchen, wenn drei Tiger auf drei
Setzstücken (das Wort kommt aus der Illustration hier!) sitzen oder über eine
Wippe laufen. Ich fand es einfach unbeeindruckend, wenn Tiere etwas konnten, das
jeder Dreijährige auch könnte.
Den Clown hingegen fand ich schon als Kind albern und
wenig witzig. Mir schien es unlogisch, einfach eine blöde Idee, den witzigen
Mann bunt anzumalen, in zu große Schuhe zu stecken und dann sollte es lustig
sein. Ich hatte nie eine Coulrophobie (den Begriff gibt es wirklich!), aber sie
sind einfach nicht witzig. Mittlerweile gibt es ja hauptsächlich therapeutische
Clowns, die den Versehrten, Gezeichneten und Hoffnungslosen ein Lächeln auf das
Gesicht zaubern sollen. Es gibt sogar ein Institut für Clownpädagogik: „Dieses
Seminar richtet sich an fortgeschrittene Clowns, die eine ClownBasis
Fortbildung im ClownWerk oder auch eine vergleichbare Clownfortbildung
absolviert haben.“ Nun, die kennen wir ja alle, die Leute mit vergleichbarer
Clownfortbildung.
Aber ihr merkt schon: ich bin nicht gerade Freund Nr. 1
des Zirkus. Als ich sehr, sehr klein war, gastierte einmal ein Zirkus in
unserem Vorort. Ich zermartere mir das Hirn, wo er das Zelt aufgeschlagen hat.
Es könnte auf der Wiese hinter der Kirche gewesen sein. Aber war das nicht viel
zu klein? Oder unten an der Grundschule, wo später der Kindergarten hingekommen
ist. Ich weiß es einfach nicht mehr. Bestimmt war ich noch nicht in der Schule.
Ich bin mit meiner Schwester hingegangen. Es gab kein Trapez. Dafür war der
Zirkus viel zu klein. Es gab auch keine Raubkatzen, das wäre viel zu gefährlich
geworden. Ich glaube mich an einen alten Bären erinnern zu können. Und
natürlich gab es einen Clown, denn ohne Clown, da geht es im Zirkus nicht. Aber
toll habe ich es nicht gefunden. Außerdem hat es draußen nach Tieren gerochen.
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