Schrift. Das ist natürlich sehr schön. Die obere Hälfte
ist übrigens nicht die Schreibschrift, welche die meisten Leser gelernt haben.
Hier handelt es sich nämlich um die Deutsche Normalschrift, die 1941 die
Sütterlinschrift (ab 1924 Lernschrift) ablöste. Gleichzeitig wurde die
Frakturschrift abgeschafft. Martin Bormann begründete dies in einem
Rundschreiben (der Parteiname ist im Kopf des Dokuments in Fraktur gesetzt!),
weil Fraktur und Sütterlin „Judenlettern“ waren.
Die meisten von uns haben mit der lateinischen
Ausgangsschrift gelernt, die im Jahr 1953 eingeführt wurde. Der
offensichtlichste Unterschied zur Deutschen Normalschrift ist der Verzicht auf
Kringeleien (z.B. B, R, V, W).
Lateinische Ausgangsschrift (Quelle: Wikipedia) |
Das war auch das letztemal, daß sich eine Ausgangsschrift
bundesweit durchsetzte. Seit den Siebzigerjahren ist es ein großes föderales Durcheinander, da jedes Bundesland sein eigenes Schriftsüppchen kocht. Zur
Auswahl stehen:
1) die Lateinische Ausgangsschrift
2) die Vereinfachte Ausgangsschrift
3) die Schulausgangsschrift
4) die Grundschrift
Die Vereinfachte Ausgangsschrift hält die Kinder für zu
bescheuert zu kapieren, daß Buchstaben in verschiedenen Höhen anfangen. Deshalb
fangen hier alle Buchstaben in der Mitte an:
Vereinfachte Ausgangsschrift (Quelle: Wikipedia) |
Wenn man sich Schriftproben der Vereinfachten
Ausgangsschrift ansieht, wird sie noch unsympathischer: irgendwie eine
Streberschrift, permanent zeigt jeder Buchstabe auf, hin zur Mitte. In
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist es sogar die Pflichtschrift. Warum
ausgerechnet dort? Keine Ahnung! Jedenfalls können sich die Kinder aus
Magdeburg und Kiel gegenseitig Briefchen mit Streberhandschrift schreiben.
Die Schulausgangsschrift wiederum ist ein Fabrikat der
DDR. Die Variante von 1953 ist nahezu identisch mit der Lateinischen
Ausgangsschrift, die neuere Version von 1968 ist ein guter Kompromiß, klar und
geglättet:
Schulausgangsschrift (DDR 1968, Quelle: Wikipedia) |
Das ist die Schrift, die in Berlin verpflichtend gelehrt
wird, und zwar auch in West-Berlin. Ich habe das auch ausprobiert. Zwei sehr
kluge Berliner Schulkinder, Cornelius und Maxine, haben Testwörter geschrieben.
Cornelius ist neun Jahre alt und Maxine ist „fast zwölf“.
Ich habe sie „Straße“ und „Prokrastinationsstreßkonvaleszenz“ schreiben lassen,
denn es ging mir vor allem um das t und ß. Und tatsächlich – beide schreiben
ein t mit Kringel (nicht wie ich damals mit Strich) und das ß zuerst mit einem
geraden Aufstrich. Das ist übrigens eine schöne Reminiszenz an das Binnen-s des
Sütterlin, kombiniert mit dem kleinen z – ja, genau s-z, so einfach ist das.
Sehr schlimm ist die "Grundschrift". Hier wird auf
Ligaturen verzichtet – es ist eine Druckbuchstabenschrift. Auch hier beruht die
pädagogische Grundüberlegung auf der Annahme, alle Kinder seien dämlich. Und
ihnen keinesfalls zuzumuten, zwei Schriftsysteme parallel zu erlernen. Was für
ein Graus!
Glücklicherweise setzt der Föderalismus hier Grenzen der Durchsetzung. Ich
habe einmal durchgezählt: in 16 Bundesländern gibt es 12 verschiedene Vorgaben,
was Wahl- oder Pflichtschrift ist.
Die oben im Brockhaus abgebildete altdeutsche Schrift ist kein Sütterlin,
sondern Kurrentschrift. Sie unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, daß beim
Sütterlin die Oberlänge, Mitte und Unterlänge nahezu gleich hoch sind, was der
Schrift etwas Kindliches gibt. Die Kurrentschrift ist deutlich schräger, und viel feiner angelegt.
Die Kurrentschrift hat mir meine Tante Hete beigebracht,
als ich ungefähr vierzehn war. Ich fand das einfach cool, fast so wie eine
Geheimschrift. Die heikle Lesbarkeit des Kurrent beruht darauf, daß e, m, n und
r praktisch gleich aussehen. Das sind nach Buchstabenhäufigkeit im Deutschen
ca. ein Drittel aller Buchstaben. Ich denke, es wäre viel leichter lesbar, wenn
das e einen Kringel hätte und nicht aussähe wie ein gestauchtes n. Ich schreibe
es bis heute ganz gerne. Es hat ein sehr ruhiges, erhabenes Schriftbild.
Außerdem sind manche Großbuchstaben (M, W) schiere Schlaufen-Großereignisse.
Mit einem Kugelschreiber oder einem Inky-Stift läßt sich allerdings Kurrent gar
nicht schreiben. Es ist eine Schrift für feine Federhalter.
Eine besondere Komplikation auch für die Lesbarkeit der
Kurrent-/Sütterlinschriften besteht auch darin, daß es zwei verschiedene s gibt. Das
Binnen-s ist einfach nur ein Aufstrich mit einfacher Unterlänge. Steht das s
hingegen am Ende, ist es eine Schlaufe mit Ausschwung (es ist das zehnte
Zeichen in der letzten Reihe). Übrigens kann ich es auch besser schreiben als
lesen, weil mir schier die Übung fehlt.
So ist das also mit der Handschrift. Die Nazis haben die
deutsche Handschrift abgeschafft, und die Berliner Kinder lernen nach der
Handschrift der DDR. Das ist doch irgendwie verblüffend, oder?
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