Sprechmaschinen. Der Brockhaus legt die Plattenspieler
unter „Sprechmaschinen“ ab. In der späteren Ausgabe von 1974 sind die
Illustrationen zu „Plattenspieler“ umsortiert. Diese Einsortierung war aber
auch schon 1952 anachronistisch. Schließlich ist man schon ziemlich schnell
darauf gekommen, das Grammophon nicht nur für Sprechen zu nutzen, sondern auch
für Musik. Thomas Manns Tagebücher sind voll davon, wie er sich abends eine
Wagneroper auf Schallplatte reinzieht. Mein erster Plattenspieler sah auch so ähnlich aus, mit
Koffer, allerdings natürlich schon elektrifiziert, ein alter grüner
Elac-Plattenspieler, auf dem ich Schlager, James Last und Winnetou abspielte. Die
James-Last-LPs habe ich immer auf 45 abgespielt, weil ich sie dann schmissiger
fand. Nicht auf 78, da klang es dann nach Mickymaus. 45 ging aber gut (für
jüngere Leser: es handelt sich hier um die Abspielgeschwindigkeiten von
Vinylschallplatten. 33 1/3 U/min war LP, 45 U/min Single und 78 U/min uralter Schellack.
Ursprünglich waren 33 1/3 und 45 Konkurrenzformate (Columbia/RCA Victor). Die
letzte Elvis-Singler auf 78 kam 1958 heraus. Interessanterweise gibt es
tatsächlich einige Beatles-Platten für Indien, die noch auf 78 liefen.)
Man hat übrigens die erste Tonaufnahme der Welt
wiedergefunden: sie stammt nicht von Edison, sondern von dem Franzosen
Edouard-Léon Scott de Martinville. Es handelt sich um das Kinderlied Au Clair
de Lune aus dem Jahr 1857. Das finde ich immerhin tröstlich, daß die erste
Tonaufnahme ein Kinderlied ist.
Das abgebildete Tonband ist ein „Magnetophon“, was
ursprünglich eine deutsche militärische Erfindung war und von alliierten
Soldaten in ihre Heimatländer gebracht wurde. Der leider verstorbene Friedrich
Kittler hat ja nachgewiesen, daß ohne die rasante technologische Entwicklung im
Zweiten Weltkrieg es mit der Popmusik noch deutlich länger gedauert hätte.
Magnetbänder, Stereo (zur Unterwasserortung) sowie die gesamte
Verstärkertechnik sind mehr oder weniger aus militärische Weltkriegsentwicklungen, ganz zu schweigen
von den vielen Ex-Heeresfunkern, die anschließend bei den Radiosendern Unterschlupf fanden
und dort Musik in den Äther schickten. Bringen wir es auf den Punkt: Popmusik
ist ein Kollateralnutzen des Zweiten Weltkriegs („Mißbrauch von Heeresgerät“,
wie Kittler seinen schönen Aufsatz dazu benannt hat).
Sprechmaschinen. Da fällt mir noch etwas anderes ein: das
Logo der alten englischen Plattenfirma Parlophone, übersetzt: Sprechlaut. Es sieht eigentlich aus wie ein englisches
Pfundzeichen. Allerdings: es sind zwei Querstriche beim L und nicht einer wie
beim Pfundzeichen. Aber warum? Es ist tatsächlich ein L, und es ist eine
Abkürzung, und es ist ein seltsame Zufall, wie sich hier zwei große Geschichten
des letzten Jahrhunderts kreuzen.
Parlophone gehörte
einmal zur britische Columbia, die sich 1931 mit der Gramophone Company (das
war das Label mit dem Hund vor dem Lautsprecher) zur EMI zusammentat und im
selben Jahr in der Abbey Road ein Studio aufbaute, in dem sich noch einiges
zutragen sollte. Einige Jahre zuvor, 1925, hatte Columbia die Parlophone
zusammen mit Odeon übernommen. In den ersten dreißig Jahren nahm Parlophone,
wie der Name ja schon sagt, hauptsächlich Hörbücher auf. Bis Anfang der
Sechziger Jahre ein gewisser George Martin eine Band aus Liverpool unter
Vertrag nahm. Der Rest ist Geschichte. In Deutschland wurden die Beatlesplatten
wiederum unter dem Odeon-Label veröffentlicht, da Parlophone zunächst dem
englischen Heimatmarkt vorbehalten war. Daneben veröffentlichten auch Divine
Comedy, Hollies, Blur, Pet Shop Boys, Coldplay, Queen und sogar Radiohead nach
den Beatles auf Parlophone. Diese hatten dann 1968 ihr eigenes Label Apple
gegründet und teilten Jahre später einem komischen Computermenschen mit, er
könne den Namen Apple für seine drolligen Computer benutzen. Nur von Musik möge
er die Finger lassen.
Aber zurück zum
doppelgestrichenen L. Hierzu müssen wir zum Vorbesitzer der Parlophone in den
Jahren bis 1925 zurück: es ist tatsächlich ein deutsches Unternehmen, mit Firmensitz
in Berlin, und es ist die Lindström AG. Und das
Logo der Lindström AG – das war dieses ominöse L
mit den zwei Querstrichen. Das Unternehmen saß an verschiedenen Standorten in
Friedrichshain und Kreuzberg (Schlesische Straße), hatte bis zu 3.000
Mitarbeitern und war nicht nur als Plattenfirma (u.a. die Comedian Harmonists),
sondern vor allem als Hersteller von Grammophonen, Diktiergeräten und eben
Sprechmaschinen bekannt und ging, soweit ich herausfinden konnte, im Jahr 1953
zugrunde.
Und an diesem Punkt schneidet sich die Geschichte mit einer anderen, sehr bekannten Geschichte. Denn die berühmteste Angestellte der Lindström AG war Fräulein Felice Bauer, die Verlobte Franz Kafkas, und sie saß in der Abteilung für Sprechmaschinen, den sogenannten Parlographen, den Vorgängern des Diktiergerätes. Parlophone und Parlograph waren Markennamen derselben Firma. Herr Kafka schrieb übrigens eine Liebes- und Liebesverzichtbriefe fast immer an Felices Büroadresse bei Lindström, und möglicherweise hat sich diese Struktur, von Love Me Do bis Let It Be, durch verquere karmische Übertragungen in die Zukunft der Parlophone gebrannt (oder auch wahlweise Paranoid Android oder Love Of My Life und so weiter).Übrigens regte Kafka einmal in einem Brief an, den Parlographen technisch mit dem Telefon zu koppeln, falls der Angerufene mal nicht zu Hause. Es war also Franz Kafka, der den Anfrufbeantworter erfand. Sprechmaschinen.
Und an diesem Punkt schneidet sich die Geschichte mit einer anderen, sehr bekannten Geschichte. Denn die berühmteste Angestellte der Lindström AG war Fräulein Felice Bauer, die Verlobte Franz Kafkas, und sie saß in der Abteilung für Sprechmaschinen, den sogenannten Parlographen, den Vorgängern des Diktiergerätes. Parlophone und Parlograph waren Markennamen derselben Firma. Herr Kafka schrieb übrigens eine Liebes- und Liebesverzichtbriefe fast immer an Felices Büroadresse bei Lindström, und möglicherweise hat sich diese Struktur, von Love Me Do bis Let It Be, durch verquere karmische Übertragungen in die Zukunft der Parlophone gebrannt (oder auch wahlweise Paranoid Android oder Love Of My Life und so weiter).Übrigens regte Kafka einmal in einem Brief an, den Parlographen technisch mit dem Telefon zu koppeln, falls der Angerufene mal nicht zu Hause. Es war also Franz Kafka, der den Anfrufbeantworter erfand. Sprechmaschinen.
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