Krankenhaus. Seltsam, diese Illustration, sie paßt gar nicht in den
Brockhaus-Style. In der 1944er-Ausgabe ist überhaupt keine Illustration dazu
vorhanden. Mitte der Achtziger war ich Zivi in einem kleinen Krankenhaus in
München. Das Gebäude sah deutlich mehr nach Brockhaus 1952 aus als dieses fast
schon postmoderne Krankenhaus. Zu meiner Zeit dauerte der Zivildienst 20 lange
Monate. Ich kam als ahnungsloser und hochnäsiger Abiturient in eine Abteilung, die
von einer Franziskanerin geleitet wurde und deren Krankenschwestern fast
ausnahmslos aus einer kleinen Gegend im Bayerischen Wald rekrutiert wurden. Ihr
Bayerisch war zunächst so unverständlich, daß ich bei einer sechs Wochen lang
dachte, sie sei Jugoslawin. Ich tat mich schwer beim Einleben . Erst mal war
ich richtige Arbeit nicht gewöhnt, und hier hatte ich Schichtdienst mit
Wochenendarbeit. Zweitens kannte ich Ekel nur aus dem Roman von Sartre. Hier
lernte ich, wie vorsichtig man Mandeloperationen beim Aufstehen helfen muß, da
sie viel Blut schlucken, ihnen davon schlecht wird und sie dich mit Blut
vollkotzen. Mit viel Blut. Überhaupt lernte ich alles recht gut kennen, was aus
Menschen so alles rauskommt. Es dauerte einige Zeit, bis mich die Schwesternhelferinnen
aus dem Bayerischen Wald richtig hinbekommen haben. Sie hatten alle neun Jahre
Volksschule gemacht und dann von ihren Eltern nach „Minge“ zu den
Franziskanerinnen weggeben worden. Ich war der einzige männliche Pfleger im
Krankenhaus, und war den prüden Nonnen hochwillkommen, um bei Männern Schamhaarrasuren
vor Bauch-OPs durchzuführen. Mit einem offenen Rasiermesser. Beim erstenmal
leitete mich die Nonne an. Erst Einpinseln, dann griff sie sich ein Einmaltuch,
packte sich den Schwanz des Patienten und klappte das Messer auf. Der Mann
hatte Todesangst. Jedenfalls hab ich meiner Zeit dort deutlich mehr Schwänze
rasiert als mit Mädchen ausgegangen. - Ich pflegte eine Sekretärin von Franz
Josef Strauß und lief H.G. Konsalik über den Weg. Ich ging mir Opa Reichelt
spazieren, der einzige Mensch, den ich jemals kennenlernte, dem Adolf Hitler
begegnet war.
Das Krankenhaus war so altmodisch, dass in die Bettwäsche
der Stationsname eingestickt wurde. Lange Nachmittage habe ich verbracht, dort „2.
Stock“ in Kissenbezüge, Laken und Bettbezüge zu sticken. Die gute Nachricht:
wenn Ihr einen Stickjob habt, dann bin ich euer Mann. Die schlechte Nachricht:
ich kann nur „2. Stock“.
- Eine meiner Standardaufgaben war das Herunterfahren der
Patienten in den OP-Bereich. Das dauerte nur ein paar Minuten, aber es war für
jeden Patienten eine Situation extremer Anspannung. Frauen kommen damit
übrigens wesentlich besser klar. Offenbar sind Frauen mutiger. Bei der
Bundeswehr hätte ich eine Grundausbildung im Schußwaffengebrauch und LKW-Fahren
gemacht. Hier bekam ich eine Grundausbildung über Schmerz, menschliches Leiden
und Angst. Und auch über Sterben und Tod, obwohl es keine Intensivpflegestation
war. Es hat mir nicht geschadet. Ich hab viel gelernt in dieser Zeit. Von den Schwestern
aus dem Bayerischen Wald.
Herrlich!!! Danke, dass du nicht beim Bund warst!!! *Tränen lach*
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