Freitag, 5. Dezember 2014

K49 - Krankenhaus




Krankenhaus. Seltsam, diese Illustration, sie paßt gar nicht in den Brockhaus-Style. In der 1944er-Ausgabe ist überhaupt keine Illustration dazu vorhanden. Mitte der Achtziger war ich Zivi in einem kleinen Krankenhaus in München. Das Gebäude sah deutlich mehr nach Brockhaus 1952 aus als dieses fast schon postmoderne Krankenhaus. Zu meiner Zeit dauerte der Zivildienst 20 lange Monate. Ich kam als ahnungsloser und hochnäsiger Abiturient in eine Abteilung, die von einer Franziskanerin geleitet wurde und deren Krankenschwestern fast ausnahmslos aus einer kleinen Gegend im Bayerischen Wald rekrutiert wurden. Ihr Bayerisch war zunächst so unverständlich, daß ich bei einer sechs Wochen lang dachte, sie sei Jugoslawin. Ich tat mich schwer beim Einleben . Erst mal war ich richtige Arbeit nicht gewöhnt, und hier hatte ich Schichtdienst mit Wochenendarbeit. Zweitens kannte ich Ekel nur aus dem Roman von Sartre. Hier lernte ich, wie vorsichtig man Mandeloperationen beim Aufstehen helfen muß, da sie viel Blut schlucken, ihnen davon schlecht wird und sie dich mit Blut vollkotzen. Mit viel Blut. Überhaupt lernte ich alles recht gut kennen, was aus Menschen so alles rauskommt. Es dauerte einige Zeit, bis mich die Schwesternhelferinnen aus dem Bayerischen Wald richtig hinbekommen haben. Sie hatten alle neun Jahre Volksschule gemacht und dann von ihren Eltern nach „Minge“ zu den Franziskanerinnen weggeben worden. Ich war der einzige männliche Pfleger im Krankenhaus, und war den prüden Nonnen hochwillkommen, um bei Männern Schamhaarrasuren vor Bauch-OPs durchzuführen. Mit einem offenen Rasiermesser. Beim erstenmal leitete mich die Nonne an. Erst Einpinseln, dann griff sie sich ein Einmaltuch, packte sich den Schwanz des Patienten und klappte das Messer auf. Der Mann hatte Todesangst. Jedenfalls hab ich meiner Zeit dort deutlich mehr Schwänze rasiert als mit Mädchen ausgegangen. - Ich pflegte eine Sekretärin von Franz Josef Strauß und lief H.G. Konsalik über den Weg. Ich ging mir Opa Reichelt spazieren, der einzige Mensch, den ich jemals kennenlernte, dem Adolf Hitler begegnet war.

Das Krankenhaus war so altmodisch, dass in die Bettwäsche der Stationsname eingestickt wurde. Lange Nachmittage habe ich verbracht, dort „2. Stock“ in Kissenbezüge, Laken und Bettbezüge zu sticken. Die gute Nachricht: wenn Ihr einen Stickjob habt, dann bin ich euer Mann. Die schlechte Nachricht: ich kann nur „2. Stock“. - Eine meiner Standardaufgaben war das Herunterfahren der Patienten in den OP-Bereich. Das dauerte nur ein paar Minuten, aber es war für jeden Patienten eine Situation extremer Anspannung. Frauen kommen damit übrigens wesentlich besser klar. Offenbar sind Frauen mutiger. Bei der Bundeswehr hätte ich eine Grundausbildung im Schußwaffengebrauch und LKW-Fahren gemacht. Hier bekam ich eine Grundausbildung über Schmerz, menschliches Leiden und Angst. Und auch über Sterben und Tod, obwohl es keine Intensivpflegestation war. Es hat mir nicht geschadet. Ich hab viel gelernt in dieser Zeit. Von den Schwestern aus dem Bayerischen Wald.

1 Kommentar:

  1. Herrlich!!! Danke, dass du nicht beim Bund warst!!! *Tränen lach*
    Anke

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