Zunächst einmal hat
der Brockhaus-Verlag angekündigt, dass die Produktion von Lexika eingestellt
wird(*). Die heutige Illustration ist sogar prophetisch: wir sehen rechts oben
einen Lexikon-Vertreter, der dem „Geschäftsinhaber“ verzweifelt die 30bändige
Brockhausausgabe verkaufen will, mit dem Argument, seine verzweigten und
schwierigen Geschäfte würden zukünftig vom lexikalischen Ratschlag profitieren.
Die Sekretärin wikipediert stattdessen in diesem Moment kichernd „Vorsteuerabzug“.
Im „Panzerschrank“ liegt nur ihr Käsebrot, weil es dort drinnen so schön kühl
ist. Aber der Vertreter weiß, sein Bemühen wird vergeblich sein, denn links auf
dem Schreibtisch neben dem „Geschäftsinhaber“, da liegt schon das iPad, der
spiegelnde Granitstein auf dem Grabmal der Brockhäuser. –Ich hatte es an
anderer Stelle schon einmal geschildert: meine Zuneigung zu Kaufhäusern, und
wie ich als Kind dachte, alle Gegenstände dieser Welt seien dort ausgestellt. Es
ist reizend, dass ausgerechnet die Kurzwarenabteilung, das Herz jedes Warenhauses,
hier illustriert wird. Aber die Zeiten: Der Karstadt Wilmersdorfer Straße hat
jetzt seine komplette Phono-Computer-CD-Abteilung geschlossen und stattdessen
dort abwechselnd Ständer mit Strickjacken für ältere Damen und Push-Up-BHs für
jüngere Damen aufgestellt. In derSZ vom Samstag las ich nach, all diese
Bemühungen werden vergeblich sein, denn mit Strickjacken und Büstenhalter gewinne
man nicht den Kampf um das 21. Jahrhundert. Der Sohn des Picassosammlers
Berggruen sei kein Retter der verlorenen Zeit, sondern nur ein Investor, nicht
mehr und nicht weniger. Traurig deshalb, weil zwei meiner Träume der Kindheit
nun endgültig sich zerschlagen: ein Buch, in dem alles geschrieben steht, was
man wissen könnte, und ein Laden, in dem alle Gegenstände dieser Welt vorhanden
sind. Paradox daran ist, meine Träume sich trotzdem erfüllen zu sehen, aber
völlig anders als ich gedacht habe: in meinem iPhone finde ich innerhalb
Sekunden jede Information, die jemals veröffentlicht wurde, und was es nicht im
Pennymarkt gibt, das kaufe ich bei amazon: 69mal seit Jahresanfang. Insofern
könnte ich ja zufrieden sein und müßte nicht dem „Kassenblock“, den
„Kurzwaren“, der „Kleiderpuppe“ und der „Registrierkasse“ hinterherjammern. Aber
alles sträubt sich dabei bei mir, - Wikipedia ist nicht Alexandria, und der
Amazonas fließt aus dem Herz der Finsternis. Ich weiß gar nicht so recht, warum
ich an der Alten Welt hänge, aber bestimmt gibt es da auch eine Wahrheit, die ich
nicht besonders mag: die Welt und ich werden gleichzeitig älter. Das sind zwei
unterschiedliche Bewegungen in verschiedener Wahrnehmbarkeit. Dabei ist es
nicht einmal mein eigenes Altern, das mich an meine Endlichkeit erinnert. So
oft schaue ich ja nicht in den Spiegel, und wenn, dann bin ich immer noch 15 ½
Jahre alt. Es ist das Altern der Umgebung und Gegenwart, das ich nicht
übersehen kann und mich immer öfter daran erinnert, irgendwann einmal zu
sterben, und zwar nicht in einer Zukunft, sondern in einer zukünftigen
Gegenwart. Und das nehme ich der Gegenwart übel. Die blöde Kuh. – Genau dazu ausnahmsweise
mal ein Link. Es zeigt unter anderem
meine Mutter als sehr junge Gardinenverkäuferin in den Geschäftsräumen einesKaufhaus.
Und ja, das Foto ist ungefähr von 1952. Einen Moment lang war ich verblüfft, meine
Mutter, mit der ich noch am Sonntag telefoniert habe, als „die Verkäuferin“ in
der Illustration im Brockhaus wiederzufinden, und ein weiteres Mal kreuzten
sich die Zeiten.
(*) Der Originaltext ist aus dem Juni 2013
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