Friedhof. Ich habe Friedhöfe immer gemocht. Ich habe auch
keinerlei Beklemmungen, ich bin gern da. Die Grabinschrift von Marcel Duchamp
lautete: „Außerdem sind es immer die anderen, die sterben.“ Genau, besser kann
man es nicht sagen - jeder Gang über einen Friedhof ist ein Triumph eigenen
Überlebens. Fast immer sind es ruhige Orte. Höchstens, daß die Verkehrsmaschinen
von Tegel über den Nazarethkirchhof donnern, aber das ist ja auch bald vorbei,
da die Engel bald vom Willy Brandt losfliegen. - Es ist wohl so, daß Friedhöfe
eine ganz eigene und besondere Sorte von Ruhe produzieren. Die Stille hinter
Thujahecken. Pappelrauschen. Das Geräusch, wie Wasser in Plastikgießkannen
läuft. Alte Frauen, die mit einer kleinen Hacke den Erdboden lockern, der
Dienst der Witwen. Friedhöfe sind wie verkleinerte Modellnachbildungen echter
Städte: Pfade statt Straßen, Grabsteine statt Wohnhäuser. Man braucht nicht
mehr so viel Platz. - Auf der Brockhausillustration sind Buchsbaum, Zypressen,
Trauerweiden als Friedhofspflanzen. Lärchen und Ulmen fehlen. Erinnerung an
einen Spaziergang über den Luisenstädtischen Friedhof in Berlin, da zieht sich
eine Kleingartenkolonie unmittelbar an der rückwärtigen Mauer entlang, und die
Tomaten werden von den Leichen gedüngt. Aber es hat schon so viele Menschen
gegeben, und wahrscheinlich ist schon überall jemand mal begraben worden.– Schlimmstes
Grabdenkmal, das ich jemals sah, ich glaube, es war auf einem Friedhof in
Wilmersdorf: der Vater hatte zwei Brettchen von einer Apfelsinenkiste
zusammengenagelt und mit Edding das horizontale Brettchen beschriftet. Beim
Namen seiner toten siebenjährigen Tochter hatte er sich dann verschrieben,
durchgestrichen und nochmal geschrieben. Gerade dieses Detail, das Verschreiben
und Korrigieren, war am fürchterlichsten. In den letzten zwei Jahrzehnten hat
sich die Sitte durchgesetzt, Kindergräber mit Lieblingsspielzeug zu verzieren.
Auf größeren Friedhöfen ist das dann eine Playmobilnekropole mit Barbies, Spongebobs,
Windrädern und Holzlokomotiven. Und Gott, müssen sich all diese durchnässten
Stoffhasen und Plüschhunde dort scheiße fühlen. Man braucht einen ziemlich
geraden Tag, um sich das anzuschauen. Ich hab mal gelesen, daß fast alle
Grabsteine aus Indien kommen und in den Steinbrüchen fast durchgängig
Kinderarbeit praktiziert wird. Indische Kinder schlagen für deutsche
Kinderleichen die rosa Granitsteine aus dem Fels. Die Eltern stellen dann
Harry-Potter-Figuren von Lego drauf. Manchmal ist die Welt echt krass.– Und
natürlich der Städtische Friedhof in H. Dort war die Grabstelle meiner Familie über
mehrere Generationen. Mein Opa ist auf diesem Friedhof gestorben, als er alte
Blumen vom Grab meiner Oma in den Container werfen wollte. Die Grabstelle ist
mittlerweile gekündigt. Ich war vor ein paar Jahren dort, auch der Grabstein
ist verschwunden und liegt wohl irgendwo auf der Grabsteinhalde unter dem
Granit und Sandstein von anderen verlassenen Nachbarn und Zeitgenossen meines
Opas. Oder die Dinger werden irgendwie aufgearbeitet und er ist jetzt ein
Pizzastein. Friedhofstechnisch ist unsere Familie jedenfalls seitdem heimatlos.
– Aber wenn man traurig ist, dann sind Friedhöfe gute Orte. Fast jeder hier hat
etwas Wichtiges verloren. Und leider wird es niemand wiederbekommen. Und es ist
so still dort.
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