Bahnhof. Zum ersten Mal eine Illustration eines ganzen
sachlichen Umfelds. Und interessant, wie sehr sich dieser Bahnhof von 1952 von
einem heutigen Bahnhof unterscheidet. Der Zugang zum Bahnsteig war nur mit
Fahrkarte oder Bahnsteigkarte möglich. Das hatte einen einfachen Grund: hier
mußte die Fahrscheinkontrolle stattfinden, da ab 1893 nicht mehr im Zug
kontrolliert wurde. Und zwar deshalb, weil die damaligen Abteilwagen keinen
einfachen Übergang von Wagen zu Wagen zuließen, sondern die Schaffner bei Wind
und Wetter an der Außenseite die Wagen sich entlanghangelten und dabei häufig
herunterpurzelten. Mit modernen Waggons war das nicht mehr notwendig, sodass
die Bahnsteigkarten ab 1965 abgeschafft wurden, mit bemerkenswerten Ausnahmen
wie die Münchner Verkehrsbetriebe, die im Jahr 2009 insgesamt 16.200 Bahnsteigkarten
für 0,40 € verkauften (wahrscheinlich alles gesuchte Schwerverbrecher, die in
keiner Kontrolle auffallen dürfen). - Der Zugang nur mit Fahrkarte: das ähnelt
der heutigen Situation auf dem Gate eines Flughafens. Darum sollten sich
überhaupt mal die Anthropologen kümmern: rites de passage, die unreine
Flughafenhalle, das Ritual der Kontrolle, das Gate nur noch bevölkert von
rituell gereinigten Reisenden und uniformierten Priestern und Dienerinnen. Den
Flughafen gibt es im Brockhaus auch, F32, aber nur als technische Draufsicht,
mit Ansteuerungsfeuer, Hindernisfeuer und Funkturm – zu jener Zeit war ein
Flughafen ein aeronautischer Hafen mit Leuchtfeuern, aber kein Ort der
Reisenden und Verspätungstafeln. Ich sloterdijke. -Einige Einrichtungen im
Bahnhof sind mittlerweile auch rätselhaft: was geschieht zum Beispiel an einem
Nachlöseschalter (oben links)? Und warum gibt es eine Handgepäckaufgabe? Ein
Trinkwasserbrunnen, das ist schon wieder putzig. Und der Aufsichtbeamte hat
einen Befehlsstab. Das ist eine weiße Scheibe mit grünem Rand, mit der dem
Lokführer die Abfahrt signalisiert wird. Überhaupt ist die Bahn, bis heute,
auch ein gigantischer technischer Komplex des Signalwesens, man kann sich sehr
schnell festlesen im Signalbuch DS301, die Anfangscheibe, das Knallsignal, die
Pfeiftafel, die Giftflagge, toll.
Zum Nachlöseschalter habe ich etwas gefunden. Es war offenbar zu "unliebsamen Auftritten" gekommen mit unzureichend mit Fahrkarten ausgestatteten Fahrgästen:
AntwortenLöschenMünchner Neueste Nachrichten, 2. Juli 1911 Nr. 304
* Nachlösen von Fahrkarten und Perronabschlußdienst in München=Hauptbahnhof. Die Eisenbahndirektion München hat die dankenswerte Anordnung getroffen, daß innerhalb der Perronsperre in München und zwar in der Mitte der Bahnhofshallen ein Fahrkartenschalter errichtet wurde woselbst die ankommenden Reisenden fehlende Fahrkarten nachzulösen haben. Wurde es schon angenehm empfunden, daß die Zugführer im Zuge Zuschlagskarten an die Reisenden abgeben können, so am Perron die bisherigen unliebsamen Auftritte vermieden werden. Mit Errichtung des Fahrkartenschalters am Perron wurde gleichzeitig angeordnet, daß zur praktischen Anleitung und Ueberwachung des Perronsperrepersonals ein Fahrkartenkontroleur im Aufsichtsdienste verwendet wird, um in Erteilung von Anschlüssen an Reisende einzugreifen.
Oh, das ist natürlich sehr interessant, vielen Dank für den Ausschnitt. Damit muß es in der Tat zu tun haben. Merkwürdig nur, daß der Nachlöseschalter in der Brockhaus-Illustration außerhalb der "Perronsperre" liegt. Das wird doch wieder zu "unliebsamen Auftritten" führen. Und warum wollen die denn immer "nachlösen"? Zunächst nur von Würzburg nach Schweinfurt gewollt und während der Fahrt auf die Idee gekommen, die Transsib bis Wladiwostok durchzufahren? - Vermutlich wird es zukünftigen Generationen mit unseren Verkehrseinrichtungen genau so gehen: "Was ist denn wohl ein Check-In?" "Keine Ahnung. Aber die hatten doch damals diese Euro-Checks. Vielleicht hat es damit zu tun." "Hm."
AntwortenLöschenDarüber habe ich auch nachgedacht, dass man die Unorganisierten dann auf dem Perron abfangen und zum Schalter führen muss. Vielleicht ist das ein Berliner Bahnhof, da im Brockhaus. Die Berliner sind ja - was Bahnhöfe und Flughäfen angeht... na gut, egal.
AntwortenLöschenWir reden hier wohl von Schwarzfahrern, die an der Perronsperre ertappt wurden und dort eine Szene machten. Die Gründe für das Schwarzfahren dürften damals wie heute die gleichen gewesen sein.
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