Freitag, 1. Juli 2016

S34 - Schrank



Beträchtliche Teile meines Schrankvermögens (also meines Vermögens an Schränken, nicht was in Schränken drinliegt) verdanke ich Erica, nämlich den schönen Wohnzimmerschrank sowie den Schlafzimmerschrank, die beide durch wunderliche, entlegene und kaum mehr nachvollziehbare verwandtschaftliche Beziehungen und nach jahrzehntelangem Dachbodendornröschenzeiten den Weg in unseren Haushalt fanden. Beides sind schöne Stücke und unglaublich solide. Früher wurden ja Schränke für ein mindestens halbes Leben, oder wie man an meinen Schränken sieht, gleich für mehrere Leben gefertigt. Der Schlafzhimmerschrank sieht ziemlichgenau so aus wie der „Kleider- u. Wäscheschrank“ oben in der Mitte. Links diverse Fächer, rechts die Stange, und ja, jetzt fällt es mir auch auf, mit einem Hutboden, in dem ich Pullover staple, weil ich keinen Hut besitze (wir sprachen ja schon in H34 über die „Arbeitsgemeinschaft Hut“). Sehr würdevoll finde ich in meinem Schrank auch eine Vorrichtung in der Tür, um Krawatten aufzuhängen. Obwohl ich kaum noch Krawatten brauche. Das hat sich erst in diesem Jahrtausend so richtig gedreht. Früher waren Krawatten ein gegenseitiges Einverständnis, wie man geschäftlich miteinander umgeht, sozusagen Allgemeine Geschäftsbedingungen aus Baumwolle und Seide. Heute sind eher Zumutungen einer übertriebenen Förmlichkeit. Ein Geschäftstermin in Krawatte, das fühlt sich in den Zehnerjahren so an, als würde man sich bald gegenseitig verklagen. Nach dem Hutm, nach den Hosenträgern wird auch die Krawatte in den Konfektionsruhestand verabschiedet. – Eine solche Frisierkommode (links unten) hatte auch meine Oma, was ich ganz toll fand, weil ein Klappspiegel darüber angebracht war, dessen Seitenflächen man einklappen konnte und damit den Spiegel spiegeln konnte und wiederum das Spiegelbild etc. etc. Eine erste Einübung in ein Bild der Unendlichkeit. Meine Oma saß immer davor und bürstete ihr langes weißes Haar. Das braucht man heute alles gar nicht mehr, weil die Frauen sich im Bad schminken und frisieren. Wann war das genau, ihr Mädchen, als ihr das Schlafzimmer für die Morgentoilette (sic!) verließet und dafür aufs Klog ginget? – Es ist interessant, daß der Wohnzimmerschrank eine „Schreiblade“ hat. Das habe ich noch nie gesehen. Das ist doch gewiß eher für die gebildeten Stände. Ziemlich sicher bin ich mir allerdings, wie sich aus dieser Schreiblade dann die aufklappbare Hausbar entwickelt hat. Die hatten meine Eltern auch im Wohnzimmerschrank, mit Spiegel an der Hinterseite (damit der Schnaps nach mehr Schnaps aussieht) und eigener Beleuchtung. Ich hab das mal gegoogelt, diese Eichenschrank-Dinger gibt es kaum noch kaufen, und noch weniger mit Hausbar. Nicht einmal bei Möbel Hübner in Schöneberg („Ich soll Sie schön grüßen“), oder aber, sie haben sie auf der Homepage versteckt. – Mein eigener Wohnzimmerschrank hat natürlich keine Hausbar, sondern ein großes verglastes Mittelfach mit zwei Böden – und dort liegen, ihr könnt es euch denken, die Rechenschieber. Paßt aber irgendwie. – Jetzt fällt mir doch auf, wie wichtig der Schrank für die westliche Zivilisation ist. Analog zu Lichtenberg, der einmal schrieb, alles Wichtige auf dieser Welt geschieht durch Röhren (Kanone, Penis, Schreibfeder), möchte ich sagen: Alles Wichtige von dieser Welt liegt in Schränken.

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