Fernsprecher. Wir hatten das schon mal bei E7: die Evolution
der Gesten durch unsere technischen Geräte. So ein altes Telefon wie hier abgebildet hatte ich mal. Es ist unmöglich, bei so einem Gerät den Hörer von der Gabel zu
reißen. Man muß ihn abnehmen. Und zwar erst nach oben. Das Hörerabnehmen ist
ein ruhiger, würdevoller Akt wie das Zerbrechen der Hostie durch einen
katholischen Priester. Aber das Herunterreißen des Hörers ist ja auch wiederum veraltet, eine
Geste aus dem alten Jahrtausend. – Als Münzfernsprecher ist hier abgebildete
der MünzFw 28. Das Gerät war bis in die Sechziger in Gebrauch. Unglaublich, wie
damals Ferngespräche durchgeführt wurden, denn es gab noch keine richtigen
Münzprüfer: Man rief das Fernamt an und legte wieder auf. Dann rief das Fernamt
die Telefonzelle an und gab vor, in welcher Reihenfolge Münzen eingeworfen
werden sollten. Im Inneren des Geräts waren Klangstäbe angebracht, die je nach
Einwurf einen oder zwei helle oder tiefe Töne von sich gaben, worauf das
Fräulein vom Amt das Gespräch dann handvermittelte. Ein ganz frühes VoIP,
sozusagen. Ab 1965 wurde dann das MünzFw 57 eingebaut. Das MünzFw 57 hat einen
schrägen Sichtschlitz für die Münzen quer über das Gerät, und darüber war eine
senkrechte Anzeige mit leuchtenden Restpfennigen von 90 bis 10. Der Nachfolger
MünzFw 63 hatte ein größeres Fenster mit drei Bahnen des Münzspeichers für 1
DM, 50 Pf. und 10 Pf (maximal konnten 4x1DM, 7x50Pf und 8x10Pf eingeworfen
werden). „Wenn Speicher leer bitte zahlen“ leuchtete eine Beschriftung. Daneben
war eine kleine Restgeldanzeige in einem kleinen Sichtfenster Der Nachfolger
war dann der MünzFw 201, der hatte schon Tasten, und rote LEDs für die
Geldanzeige. Das dürften wohl die Münztelefone sein, mit denen die hiesigen
Leser sozialisiert wurden. Und dann gab es noch diese komische
Klappvorrichtung, mit der die Telefonbücher hochgeklappt wurden. Und das
Reklameschild über dem Fernsprechapparat; ich meine, dort wurden fast
ausschließlich Hörgeräte beworben. Und sie rochen nach alten Zigaretten. - Und eine praktisch
ausgestorbene Kulturtechnik: vor einer Telefonzelle warten, bis der andere austelefoniert hatte. Wenn ich das hier
so darstelle, fühlt sich das so an, als würde ich über Pferdekutschen
schreiben. Dabei sind Telefonzellen ein gar nicht mal unwichtiger Teil meines
Lebens. Alle wichtigen Angelegenheiten der Liebe wurden über diese Geräte
besprochen. Ich erinnere mich, wie ich mit zitternden Händen Susanne von einem
MünzFw 57 angerufen habe. Bei einem der größten Triumphe der Liebe ritt ich auf
einem MünzFw 63 ins Glück. Allerdings auch: Und du machst jetzt Schluß? Ja,
Sabine, es geht doch nicht mehr. Traurig blinkten mir die blutroten LEDs des
MünzFw 201 entgegen. Zumindest in Liebesangelegenheiten hatte ein
Telefonzellengespräch einfach mehr Grandezza. - Der Höchstbestand von Telefonzellen
war Anfang der Achtziger erreicht: 130.000 Stück. Jetzt soll es angeblich noch
60.000 öffentliche Münzfernsprecher geben. Natürlich ohne Zelle, denn man kann
auch im Freien telefonieren, was für die ältere Generation eine sehr
überraschende Neuigkeit war. Vergangen übrigens auch die Zeit, in der man
wußte, wo Telefonzellen in der eigenen Wohngegend stehen. Ich kenne ein
einziges öffentliches Münztelefon, weil es hier direkt vor dem Haus steht. –
Ich bin jetzt gerade mal auf den Balkon gegangen. Das Münztelefon (eine Säule mit
einem magentafarbenen Hörer) ist verschwunden. Keine Ahnung, wann. Oder warum.
Ruf doch mal an.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Manchmal hat es Probleme mit der Kommentarfunktion gegeben. Bitte dann eine Mail an joachimgoeb@gmail.com Danke