Freitag, 25. Oktober 2013

F16 - Fernsprecher




Fernsprecher. Wir hatten das schon mal bei E7: die Evolution der Gesten durch unsere technischen Geräte. So ein altes Telefon wie hier abgebildet hatte ich mal. Es ist unmöglich, bei so einem Gerät den Hörer von der Gabel zu reißen. Man muß ihn abnehmen. Und zwar erst nach oben. Das Hörerabnehmen ist ein ruhiger, würdevoller Akt wie das Zerbrechen der Hostie durch einen katholischen Priester. Aber das Herunterreißen des Hörers ist ja auch wiederum veraltet, eine Geste aus dem alten Jahrtausend. – Als Münzfernsprecher ist hier abgebildete der MünzFw 28. Das Gerät war bis in die Sechziger in Gebrauch. Unglaublich, wie damals Ferngespräche durchgeführt wurden, denn es gab noch keine richtigen Münzprüfer: Man rief das Fernamt an und legte wieder auf. Dann rief das Fernamt die Telefonzelle an und gab vor, in welcher Reihenfolge Münzen eingeworfen werden sollten. Im Inneren des Geräts waren Klangstäbe angebracht, die je nach Einwurf einen oder zwei helle oder tiefe Töne von sich gaben, worauf das Fräulein vom Amt das Gespräch dann handvermittelte. Ein ganz frühes VoIP, sozusagen. Ab 1965 wurde dann das MünzFw 57 eingebaut. Das MünzFw 57 hat einen schrägen Sichtschlitz für die Münzen quer über das Gerät, und darüber war eine senkrechte Anzeige mit leuchtenden Restpfennigen von 90 bis 10. Der Nachfolger MünzFw 63 hatte ein größeres Fenster mit drei Bahnen des Münzspeichers für 1 DM, 50 Pf. und 10 Pf (maximal konnten 4x1DM, 7x50Pf und 8x10Pf eingeworfen werden). „Wenn Speicher leer bitte zahlen“ leuchtete eine Beschriftung. Daneben war eine kleine Restgeldanzeige in einem kleinen Sichtfenster Der Nachfolger war dann der MünzFw 201, der hatte schon Tasten, und rote LEDs für die Geldanzeige. Das dürften wohl die Münztelefone sein, mit denen die hiesigen Leser sozialisiert wurden. Und dann gab es noch diese komische Klappvorrichtung, mit der die Telefonbücher hochgeklappt wurden. Und das Reklameschild über dem Fernsprechapparat; ich meine, dort wurden fast ausschließlich Hörgeräte beworben. Und sie rochen nach alten Zigaretten. - Und eine praktisch ausgestorbene Kulturtechnik: vor einer Telefonzelle warten, bis der andere austelefoniert hatte. Wenn ich das hier so darstelle, fühlt sich das so an, als würde ich über Pferdekutschen schreiben. Dabei sind Telefonzellen ein gar nicht mal unwichtiger Teil meines Lebens. Alle wichtigen Angelegenheiten der Liebe wurden über diese Geräte besprochen. Ich erinnere mich, wie ich mit zitternden Händen Susanne von einem MünzFw 57 angerufen habe. Bei einem der größten Triumphe der Liebe ritt ich auf einem MünzFw 63 ins Glück. Allerdings auch: Und du machst jetzt Schluß? Ja, Sabine, es geht doch nicht mehr. Traurig blinkten mir die blutroten LEDs des MünzFw 201 entgegen. Zumindest in Liebesangelegenheiten hatte ein Telefonzellengespräch einfach mehr Grandezza. - Der Höchstbestand von Telefonzellen war Anfang der Achtziger erreicht: 130.000 Stück. Jetzt soll es angeblich noch 60.000 öffentliche Münzfernsprecher geben. Natürlich ohne Zelle, denn man kann auch im Freien telefonieren, was für die ältere Generation eine sehr überraschende Neuigkeit war. Vergangen übrigens auch die Zeit, in der man wußte, wo Telefonzellen in der eigenen Wohngegend stehen. Ich kenne ein einziges öffentliches Münztelefon, weil es hier direkt vor dem Haus steht. – Ich bin jetzt gerade mal auf den Balkon gegangen. Das Münztelefon (eine Säule mit einem magentafarbenen Hörer) ist verschwunden. Keine Ahnung, wann. Oder warum. Ruf doch mal an.

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